Am Weihnachtsabend von: Theodor Storm Die fremde Stadt durchschritt ich sorgenvoll,
Der Kinder denkend, die ich ließ zu Haus.
Weihnachten war's; durch alle Gassen scholl
Der Kinderjubel und des Markts Gebraus.
Und wie der Menschenstrom mich fortgespült,
Drang mir ein heiser' Stimmlein in das Ohr:
"Kauft, lieber Herr!" Ein magres Händchen hielt
Feilbietend mir ein ärmlich' Spielzeug vor.
Ich schrak empor; und beim Laternenschein
Sah ich ein bleiches Kinderangesicht;
Wes Alters und Geschlechts es mochte sein,
Erkannt' ich im Vorübertreiben nicht.
Nur von dem Treppenstein, darauf es saß,
Noch immer hört' ich, mühsam, wie es schien:
"Kauft, lieber Herr!" den Ruf ohn' Unterlaß;
Doch hat wohl Keiner ihm Gehör verliehn.
Und ich? War's Ungeschick, war es die Scham,
Am Weg zu handeln mit dem Bettelkind?
Eh' meine Hand zu meiner Börse kam,
Verscholl das Stimmlein hinter mir im Wind.
Doch als ich endlich war mit mir allein,
Erfaßte mich die Angst im Herzen so,
Als säß' mein eigen Kind auf jenem Stein,
Und schrie' nach Brot, indessen ich entfloh.
Das Weihnachtsbäumlein von: Christian Morgenstern Es war einmal ein Tännelein
mit braunen Kuchenherzlein
und Glitzergold und Äpflein fein
und vielen bunten Kerzlein:
Das war am Weihnachtsfest so grün
als fing es eben an zu blühn.
Doch nach nicht gar zu langer Zeit,
da stands im Garten unten,
und seine ganze Herrlichkeit
war, ach, dahingeschwunden.
die grünen Nadeln warn'n verdorrt,
die Herzlein und die Kerzlein fort.
Bis eines Tags der Gärtner kam,
den fror zu Haus im Dunkeln,
und es in seinen Ofen nahm -
Hei! Tats da sprühn und funkeln!
Und flammte jubelnd himmelwärts
in hundert Flämmlein an Gottes Herz.
Der Tannenbaum von: Georg Scheurlin Der Tannenbaum steht schweigend,
Einsam auf grauer Höh';
Der Knabe schaukelt im Nachen
Entlang dem blauen See.
Tief in sich selbst versunken
Die Tanne steht und sinnt,
Der Knabe kos't der Welle,
Die schäumend vorüberrinnt.
"Du Tannenbaum dort oben,
Du alter finstrer Gesell,
Was schaust du stets so trübe
Auf mich zu dieser Stell'?"
Da rühret er mit Trauern
Der dunklen Zweige Saum,
Und spricht in leisen Schauern,
Der alte Tannenbaum:
"Daß schon die Axt mich suchet
Zu deinem Todenschrein,
Das macht mich stets so trübe,
Gedenk' ich Knabe, dein."
