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Autor Thema: Sommer vorm Balkon  (Gelesen 580 mal) Durchschnittliche Bewertung: 0
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"Captain!"



« am: 25. Mai 2007, 12:50:47 »

  Wo der Mlltonnen-Duft verfliegt
Von Christian Bu

Frauen sind die besseren Menschen, das wussten der ehemalige Defa-Autor Wolfgang Kohlhaase und Regisseur Andreas Dresen schon immer. Zusammen haben sie das heiter-melancholische Verliererinnen-Portrt "Sommer vorm Balkon" gedreht - ein echter deutscher Wiedervereinigungsfilm.

Auf dem Balkon einer ollen Ostberliner Mietskaserne kommt es zusammen, das Land. Wann immer Katrin (Inka Friedrich) Zeit hat, klemmt sie sich ein paar Flaschen preisgnstigen Rotwein unter den Arm und steigt aus ihrer Parterrewohnung zu Freundin Nike (Nadja Uhl) hoch. Die wohnt unter dem Dach und verfgt ber die einzige Freiluftzelle des Hauses. Da sitzen dann die verarmte, aus Sddeutschland zugezogene Akademikerin und die Ossi-Hupfdohle, die sich als Altenpflegerin zu bescheidenem Wohlstand malocht hat, stundenlang zusammen, sortieren unerfllbare Sehnschte aus und basteln sich neue Hoffnungen zusammen. Die Sonne ber Berlin geht derweil unter und manchmal auch schon wieder auf.

"Sommer vorm Balkon" ist vielleicht der erste richtige deutsche Wiedervereinigungsfilm - eben gerade weil die Wiedervereinigung gar nicht explizit verhandelt wird. Der Osten und der Westen, hier treffen sie in einem noch nicht auf Hochglanz sanierten Teil des Prenzlauer Bergs aufeinander. Die in die Jahre gekommene Kunstmalerin und allein erziehende Mutter Katrin schwbelt gelegentlich; Altenpflegerin Nike berlinert kess gegen alle Zumutungen des Alltags an. Ansonsten aber sucht man vergeblich nach regionalen Stereotypen.

"Man muss mit den Dingen erzhlen, nicht ber sie", erklrt Wolfgang Kohlhaase, der das Drehbuch fr "Sommer vorm Balkon" verfasste. "Ich mag es nicht, wenn man Geschichten das Vorgedachte anmerkt." Und Regisseur Andreas Dresen ergnzt: "Mir gefiel der Gedanke, dass man glaubhaft die blichen Klischees unterwandert. Nicht alle Ostdeutschen sind Wiedervereinigungsverlierer, und viele Hartz-IV-Empfnger kommen aus dem Westen."

Kohlhaase, 75, und Dresen, 43 - was fr ein Gespann. Der eine schrieb schon in den fnfziger Jahren fr die Defa raue Berlin-Filme. Der andere brachte in den letzten Jahren mit "Halbe Treppe" oder "Willenbrock" Orte aus den Neuen Bundeslnder wie Frankfurt/Oder oder Magdeburg auf die Kinolandkarte. Von den gut drei Dekaden Altersunterschied ist im Gesprch nichts zu merken. Das gefhlte Alter hat eben viel mit dem Blick zu tun, den man auf die Welt richtet. Kohlhaase und Dresen haben denselben: wach, unmanipulierbar, aber niemals ganz schonungslos. Die beiden verorten ihre Figuren pointiert in einem bestimmten Milieu, ohne sie komplett zu Gefangenen der Verhltnisse zu machen.

 






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"Captain!"



« Antworten #1 am: 25. Mai 2007, 12:51:01 »

 Kohlhaase etwa erzhlte 1980 in "Solo Sunny" vom berlebenskampf einer Ostberliner Sngerin und wurde dafr seinerzeit strmisch auf der Berlinale gefeiert; Dresen zeigte 20 Jahre spter in "Die Polizistin" eine Beamtin, die in einer Rostocker Plattenbausiedlung zwischen Dienstbeflissenheit und Sehnsucht aufgerieben wird. Kohlhaases und Dresens Heldinnen knnen schon mal alles verlieren. Auer ihrer Wrde. Die wankt manchmal gefhrlich, bleibt aber niemals ganz auf der Strecke.

Wie schreibt oder dreht ein Mann eigentlich eine Frauengeschichte? "Das Wie ist kompliziert", gesteht Kohlhaase ein. "Die Frage nach dem Weshalb kann ich schneller beantworten: Ich habe in meinem Leben einfach so viele interessante Frauen kennen gelernt." Kompagnon Dresen besttigt: "Oh ja, Wolfgang kennt wirklich sehr viele Frauen. Und die Dunkelziffer ist hoch!" Kohlhaase guckt gerhrt und fhrt dann nchtern aus: "Partnerinnen, Freundinnen, Kolleginnen: Wenn ich ehrlich bin, fand ich die immer spannender als die Mnnergestalten in meinem Umfeld. Frauen sind fr mich das vielschichtigere Geschlecht. ber all die Jahre ist bei ihnen im Sozialen einfach mehr passiert. Es gibt mehr Bewegung, mehr Schicksal. Mnner sind irgendwie stehen geblieben, aus Erzhlersicht sind sie langweilig."

Die Ergiebigkeit ihres Sujets zeigt sich schon an der Tatsache, wie viel Tragik und wie viel Komik Kohlhaase und Dresen ihrem Mikrokosmos abringen. Der Mief der Mlltonnen ist auf Nikes Balkon verflogen, die anstrengenden Arrangements des Alltags lassen sich in dieser Hhenlage temporr aufkndigen.

Doch pltzlich erscheint Ronald (Andreas Schmidt) auf der Bildflche, ein Fernfahrer mit Faible fr gestelzte Worte, Dosenbier und Pornos. Nike findet, dass er ganz gut in ihre Wohnung und vielleicht sogar in ihr Leben passen wrde und lsst ihn mit seiner Plastiktte voller Habseligkeiten bei sich einziehen. Whrend die Freundin mit der Domestizierung des Truckers beschftigt ist, leert Katrin die Rotweinflaschen alleine im Parterre.

Kalkl und Solidaritt - Kohlhaase und Dresen erzhlen davon ohne jeden sozialromantischen Touch. Wie richtet man sich ein Pltzchen ein, das geschtzt ist vor der konomisierung des Alltags? Und was passiert, wenn dieses Pltzchen wieder verloren geht?

Mit fast schon dokumentarischer Wucht drngt die Wirklichkeit ins zerbrechliche Balkon-Idyll. Teilweise drehte Dresen mit Schauspiel-Laien, die er in genau jenen Lebensbereichen fand, in denen die Geschichte spielt. Bei den Seminaren, die Katrin als Hartz-IV-Empfngerin besuchen muss, lehrt ein echter Bewerbungstrainer das richtige Auftreten im unwahrscheinlichen Falle eines Einstellungsgesprchs. Und in einem Sportgeschft versucht ihr ein realer Verkufer einzureden, dass ihr halbwchsiger Sohn Turnschuhe fr 120 Euro braucht.

Der Schuhwunsch von Katrins Sprssling bleibt aber erstmal ebenso unerfllt wie Nikes Traum von moderater Zweisamkeit. "In unserem Film passieren die Dinge ja oft nur halb", meint Kohlhaase. "Da sucht jemand die Liebe oder die Partnerschaft - findet eben aber nur eine halbe Liebe und eine halbe Partnerschaft. Das macht die Frau aber noch lange nicht zu einer schwachen Person. Sie ist sich ber das Arrangement ja durchaus bewusst, wenn sie zu ihrem Typen sagt: 'Glaubste, weil hier sexuell was luft, kannst du dich wie ein Arsch benehmen?' Mir gefllt diese Haltung: Ich pflege alte Leute, sentimentalisiere das aber nicht; ich will einen Mann in meinem Leben, also hole ich mir einen in die Wohnung und gucke, was passiert."

So ist die zrtlichste Szene zwischen Mann und Frau im Film ausgerechnet diese: Nike und ihr Fernfahrer liegen nach dem Akt in postkoitaler Erschpfung auf dem Wohnzimmerboden, whrend im Hintergrund ein Porno im Fernsehen luft. Drauen vor dem Fenster ghnt der Sommer. Dresen: "Ich habe ganz bewusst versucht, Sexszenen soweit wie mglich raus zu lassen. Hier aber findet man sonderbarerweise ein Gefhl echter Nhe."

"Sommer vorm Balkon" ist ein Film, der mit den Gefhlen seiner Figuren nicht hausieren geht - und das Publikum trotzdem fr sie vereinnahmt. Als Dresen das Buch von Kohlhaase las, war er sofort Feuer und Flamme. Innerhalb von vier Monaten hat er das Projekt bei den Produzenten durchgepaukt, eine rekordverdchtige Zeit fr deutsche Verhltnisse, wo man ansonsten ber Jahre die Frdertpfe abgrast. "Dieser Film wollte einfach gedreht werden!", schwrmt Dresen. "Wenn du so eine starke berzeugung mit dir rum trgst, ziehst du die anderen mit. Wenn Du in der Lage bist, Geldgebern zu sagen: Wir machen das, ob ihr einsteigt oder nicht, haben die Leute schnell Angst etwas zu verpassen."

Ist Filmemachen also nur Taktik? Vielleicht auch - vor allem aber ist es fr Dresen, dem sanften Hasardeur unter den deutschen Regisseuren, eine Sache des Herzens: "Ich schwre, ich htte den Film so oder so gemacht. Notfalls auf Video."
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« Antworten #2 am: 25. Mai 2007, 12:53:24 »

  [11]  Der Film hat mich eher nachdenklich gemacht und erinnert mich, auch dokumentatorisch gesehen. Er ist auch oft heiter und macht auf deutliche Art Dinge bewusst, ber die wir schon lange nicht mehr nachdenken.

Er spricht einen fast direkt an und berhrt. Vielleicht wegen alledem prdikant: sehenswert.
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