SilverLion
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"There Out there!"
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« Antworten #161 am: 10. Juli 2008, 12:12:57 » |
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FOX USA & RTL, warum nur?
Gibt es die Browncoats auch in Deutschland? Warum lsst RTL die Serie im Keller verschimmeln?
Krimis, Krimis, Procedurals Tag und Nacht. Eingespannt in meine Arbeit zu Dramaturgie und visuellem Stil der US-Krimiserien ertappe ich mich dabei, die Welt in Fingerabdrcke und DNA-Proben zu sortieren: Man sitzt im Caf und ist besessen von dem Gedanken an den guten, fettigen Fingerabdruck am Colaglas, den man gerade unwiderruflich hinterlassen hat ... Wenn es so weit gekommen ist, ist es time for a change:
He robbed from the rich and he gave to the poor! Stood up to the Man and he gave him what for! Our love for him now ain't hard to explain! The Hero of Canton--the man they call Jayne!
Firefly! Eine Serie, die nicht unbedingt auf Special Effects aus ist, oder auf Action. Das Thema: ein Zuhause finden, mitten im endlosen Weltraum. Es gibt kein bestimmtes Ziel, und keiner versucht, die Welt zu retten. Es geht darum, sich irgendwo zu Hause fhlen zu drfen. Klingt zu einfach? Nicht spannend? Nicht spektakulr genug? Joss Whedon, der Schpfer der Serie, beschreibt seine Kreation als nine people looking into the blackness of space and seeing nine different things.
Kann so eine Serie langweilig sein? Wenn man den FOX-Vorstand fragt, ist die Antwort: Ja. Wegen schlechter Quoten wurde die Serie nach nur 11 (von insgesamt 14 fertigen) Episoden vom serial killer-Network FOX (vgl. den Fall Wonderfalls und andere) abgesetzt. Es wird fr immer ein Fragezeichen dahinter stehen - mochte das Publikum die Serie wirklich nicht, oder ist der Sender schlecht mit ihr umgegangen?
Wenn man sich die DVD-Verkaufszahlen (bei Amazon oder Barnes & Noble) ansieht, sowie die immer noch andauernden Versuche, die Serie wieder zum Leben zu erwecken, sie zumindest mit einem Kinofilm abzuschlieen usw., dann richtet sich der pdagogische Zeigefinger auf die Senderverantwortlichen: Die Episoden wurden ohne groe Werbekampagne, dafr aber in falscher Reihenfolge (der zweistndige Pilot, der das Gesamtkonzept etabliert, wurde als letzte Episode ausgestrahlt!) sowie mit Unterbrechungen wegen Sportbertragungen etc. gesendet. An dieser Stelle sieht man sich als Fan gezwungen, in die Welt des Was wre, wenn zu flchten - eine Art Parallelwelt, die uns in fast jeder unserer Lieblingsserien vorgefhrt wird... Traumwelten - die Spezialitt von Joss Whedon. Selbstverstndlich weist Firefly etliche hnlichkeiten mit Buffy the Vampire Slayer auf, sowohl auf visuellem als auch auf narrativem Niveau. Vier davon fallen schnell ins Auge:
Mitten in einer Unterhaltung kommt ein pltzlicher Wechsel von Medium Shot zu Close-Up (zwei bis drei Sekunden) von Gesicht und Augen eines Protagonisten. Dann wird fr diese kurze Zeit das Bild fast eingefroren, die Gesichter sehen vertrumt aus: Diese Einstellung zeigt, dass die Figur an etwas Anderes denkt als das, worum es im Gesprch geht.
Anschlieend folgt wieder ein Medium shot, und es geht weiter mit dem Gesprch (Beispiele: Inara im Gesprch mit ihrem Kunden im Piloten Min. 14:52; Buffy des fteren in den ersten drei Staffeln der Serie). Sonst berwiegen bei Gesprchen langsame horizontale Kameraschwenks. Die internen Cliffhanger, die wir aus Buffy the Vampire Slayer kennen (vgl. Vampirangriff auf Buffy in der Krypta - im Piloten), sind auch hier ein oft benutztes Stilmittel. Sie kommen an Szenenhhepunkten zum Einsatz und erzeugen eine doppelte Spannung: Der positive oder negative Ausgang fr den Helden/die Heldin steht auf dem Spiel, die Zuschauer erwarten eine Entscheidung - stattdessen sehen sie eine lange schwarze Abblende. Die Spannung wird ins Unertrgliche gefhrt und gehalten, bis die Auflsung eintritt.
Auf Figurenebene wre die Liebesgeschichte, die keine Erfllung finden soll, zu erwhnen - hier zwischen Mal und Inara, wie zwischen Buffy und Angel. Genauso scheint zum wiederholten Mal Whedons Vorliebe fr kampfstarke Mdchen durch - in diesem Fall handelt es sich um River (gespielt von Summer Glau), die er von einer Randfigur, die zuerst in der Firefly-Familie nicht akzeptiert wird, zum narrativen treibenden Zentrum der Serie aufsteigen und erst im Kinofilm Serenity zur vollen Entfaltung kommen lsst. Am Rande bemerkt: Vermutlich aufgrund ihrer tnzerischer Ausbildung bekommt Summer Glau fast in jeder Rolle eine bzw. mehrere Tanzszenen (vgl. Terminator: The Sarah Connor Chronicles), so auch hier in der fnften Episode.
Und whrend die Nebenfigur zur Hauptfigur wird, kann man behaupten, dass die Firefly-Struktur aus Episoden besteht, die den Fall der Woche behandeln und einen Abschluss anbieten, wobei sie gleichzeitig durch die Figurengeschichten - hauptschlich in den spteren Episoden ber Rivers Geschichte - serialisiert wird. Dabei wird groer Wert auch auf Nebenfiguren gelegt, die Narrationstreiber und -trger kompletter Episoden sind, wie zum Beispiel Niska oder der Kopfgeldjger in der letzten Episode der Serie (das Gesprch zwischen ihm und Simon - Min. 24 - gehrt zu den witzigsten Dialogszenen berhaupt).
Was die Erzhltechnik betrifft, sticht vor allem die achte Episode heraus, da sie nicht nur eine unheimliche Spannung aufbaut, sondern alle narrativen und visuellen Register, die der Serie zu Gebote stehen, zu einem geballten Hhepunkt bringt. Es wird zwischen drei Erzhlebenen gewechselt, die farblich kodiert sind und die Vorgeschichte der Crew und ihr Zusammenkommen auf dem Schiff erzhlen, um zum Schluss in die Feststellung zu mnden, wie pretty Serenity ist. There is no place like home.
Das Schiff Serenity bildet nicht nur die Verkrperung des thematischen Hauptpunkts der Serie, sondern auch die wichtigste Inszenierungsebene fr die Figurengeschichten. Fr Whedon war das Design des Schiffes extrem wichtig, da er nicht wollte, dass der Zuschauer einen Eindruck von fourteen hundred decks and a holodeck and an all-you-can-eat buffet in the back bekommt, sondern sprt: das Schiff ist beat-up but lived-in and ultimately, it was home. Zum heimischen, fast dokumentarischen Stil der Aufnahmen tragen noch die Benutzung von Handkameras bei (auer im Fall von Aufnahmen in Regierungsrumen) sowie von sog. lens flares, typisch fr das Fernsehen der 70er. Im Vergleich zu anderen im Sci-Fi-Umfeld angesiedelten Produktionen fllt der fehlende Sound bei Aufnahmen im Weltraum auf - die absolute Stille, gekoppelt an Handkamerasimulationen, erzeugt ein fast dokumentarisches Vakuum.
In den DVD-Specials erzhlt Whedon, dass jeder Raum (vor allem durch die farbliche Gestaltung) entweder ein bestimmtes Gefhl oder eine Figur reprsentiert. Wenn man sich vom Maschinenraum zur Brcke bewegen wrde, wrden sich die Stimmung und die Farben von warm zu khl verndern.
Der andere Grund dafr, hauptschlich das Schiff-Set fr die Erzhlung zu verwenden: das knappe Budget. Deswegen sind auch die meisten Welten und Planeten, die Serenity besucht, der Erde so hnlich - alien worlds konnte man sich kaum leisten.
Nun zurck zu Serenity: Die Kamerafahrten durch die leeren Schiffsrume (wie in 1.[4] erinnern an die Aufnahmen von Nostromo in Alien 1, und hier genau wie dort erzhlen sie eine Menge ber die Figuren, die dort wohnen, ohne auch nur eine einzige zu zeigen. Generell ist Serenity als Ort der Inszenierung ein Dreh- und Angelpunkt narrativer Fden, die anhand von Beleuchtung, Farbe, Tiefe und Komposition, aufgenommen und wieder fallen gelassen werden. Beispielsweise bildet die Brcke mit den seitlichen Treppen in Serenitys Laderaum, wo oft die Handlung spielt, ein Dreieck mit ausgeprgten Diagonalen und Schattenmustern, die das Bild intensivieren bzw. dem Zweck dienen, eine Figur symmetrisch einzufangen und ihr dadurch Stabilitt zu verleihen. Wenn die Horizontalen der Brcken (nicht nur im Laderaum) im Hintergrund zu sehen sind, korrelieren sie bei Close-Ups und Medium Shots von Figuren oft mit deren Mndern oder Augenpartien und zwingen so den Zuschauer, seine Aufmerksamkeit darauf zu richten. Figuren und Hintergrund als deren Beschreibung sind Fireflys Markenzeichen - Zoe und Wash als Liebende werden oft eingerahmt in Tren, Durchgngen etc. Simon wird am Anfang vor flachem Hintergrund und selten im Zentrum des Bildes gezeigt; auch die Farben seiner Bekleidung entfremden ihn.
In spteren Episoden ndert sich das, da er in der Serenity-Familie akzeptiert wird. In den Szenen mit Inara und Kaylee kann man viele horizontale Linien finden, die die Stabilitt und die Strke der Verbindung zwischen den beiden hervorheben. In Mals wichtigen Szenen sind es Diagonalen, die, wenn er im Vordergrund steht, die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf seine Augen und seinen Mund lenken.
Abgesehen von der Farbpalette und dem Design der Rumlichkeiten sind die Figuren bzw. bestimmte Szenen auch auf der Soundtrackebene kodiert. Das Musikstck Sad Violin erklingt hufig in melancholisch-traurigen Szenen, die von Verlusten handeln: zum Beispiel nach der verlorenen Schlacht von Serenity Valley am Anfang der Serie, oder in der 13. Episode The Message, als die Crew um Tracey trauert. Das war brigens die zuletzt gedrehte, als Abschied gedachte Episode. Das Musikstck ist auch zu hren, als Mal mit Simon Spa macht und ihm erzhlt, dass Kalley tot sei.
Erstaunlich ist, wie selbstverstndlich man ber die nur 14 Episoden lange Serie als ber ein abgerundetes Ganzes reden kann.
Warum lsst RTL so eine Serie im Keller verschimmeln? Das war die Frage, die ich mir im Mrz stellte, als ich diesen Artikel eigentlich schreiben wollte. Mgliche Antworten:
* weil die unmgliche Sci-Fi-Western-Mischung zum RTL-Bild berhaupt nicht passt * weil es schon die deutschsprachigen DVDs gibt und jeder Fan sie besitzt * weil es nur eine Staffel gibt und man nur 14 Wochen mit diesem Programm fllen kann
Was wrde aber dafr sprechen, die Serie auszustrahlen? Schlielich ist da auch noch der die Serie abschlieende Kinofilm Serenity. Ich hatte bei RTL nachgefragt, ob sie etwas vorhaben, ob eine Flucht in neue Welten mglich wre. Die Antwort war, dass nichts geplant wre. Dabei hatte ich die Mglichkeit einer Ausstrahlung sofort nach der EM erwogen, wenn sich sowieso alle im Sommerloch befinden und es niemanden interessiert, ob die Quoten niedrig oder niedriger sind. Und viele (freilich als Gesamtzuschauerzahl immer noch wenige), die die Serie auswendig kennen, wrden sie im Fernsehen nochmals sehen - einfach nur aus Lust, weil sie Browncoats sind, oder mindestens, um ber die Synchronisation zu meckern (die bei so einem linguistischen Experiment kaum zu vollbringen ist).
Imageverbesserung bei Serienjunkies wre eine mgliche Antwort fr RTL auf die Frage nach dem Warum?. Mut und Aufgeschlossenheit beweisen, wre die nchste. Und ehe man sich ver(fern)sieht, wird am 19. Juli Serenity gezeigt - immerhin! Nichts Halbes und nichts Ganzes, aber immerhin etwas. Einen Kinofilm kann man ja gerade noch rechtfertigen. Vielleicht wrde eine Ausstrahlungsreihenfolge vom Ende zum Anfang, von Serenity zu Firefly eher funktionieren als das Durcheinander, das FOX veranstaltete.
Firefly heit aber vor allem: Hoffnung, Hoffnung auf ein Zuhause - vielleicht findet auch die Serie eines, irgendwann. Zitat Whedon: It was ignored and abandoned, and the story should end there -- but it doesn't. Because the people who made the show and the people who saw the show -- which is, roughly, the same number of people -- fell in love with it a little bit. Too much to let it go. . . . In Hollywood, people like that are called unrealistic, quixotic, obsessive. In my world, they're called 'Browncoats.'
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