Vom Alleinsein nach der LiebeRezensiert von DOMINIK GRAF - 10-12-2005
Horrorstories pressen die Welt durch ein sehr enges Nadelhr. Im Brennspiegel des Genres schrumpft der Kosmos auf zwei Dimensionen zusammen, auf Gut und Bse, auf Vampire, Untote, Monster, die gegen unsere normale Welt antreten. Aber groe Schriftsteller verweben diese gegenstzlichen Welten untrennbar.
Im Fall von Daphne du Mauriers Novelle Dont Look Now irrt ein englisches Ehepaar durch Venedig, immer noch unbewusst auf der Suche nach ihrer vor Jahren zu Hause ertrunkenen kleinen Tochter. Diese Suche wird mehr und mehr zu einer Suche der beiden nach sich selbst, und sie scheinen sich dabei wie Zge, die nebeneinanderher fahren, bestndig anzunhern und zu entfernen. Am Ende verfolgt der Mann die vermeintliche Erscheinung seiner toten Tochter bis in eine kleine, dstere Kirche der morbiden Stadt.
Das Kind entpuppt sich aber als eine sehr reale mrderische Zwergin, die sich in die Enge getrieben fhlt und ihn umbringt. Im langen Moment seines Verblutens versteht er erst jetzt, dass alle Visionen, die ihn in Venedig beunruhigt hatten, vorausschauende Blicke auf seinen eigenen Tod waren. Er hatte die Gabe des zweiten Gesichts und er wusste es nicht.
Schon diese tragische Konstruktion der Geschichte lsst sie ber klassische Geistergeschichten hinausragen. Was der englische Ex-Kameramann Nicolas Roeg dann 1973 daraus machte, ist ein Hhepunkt des europischen Kinos geworden, einer der schnsten, traurigsten und verwirrendsten Filme der ohnehin glorreichen siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Roeg schuf einen Traum aus Blutrot, aus Scherben der Erinnerung und aus Splittern von Glas, eine Mischung von Psychotrip und verfilmtem Existenzialismus.
Roeg ist ein bis heute weitgehend unterschtzter Regisseur, der sich allein mit seinen ersten sechs Filmen, von 1970 bis Mitte der Achtziger, einen eigenen Kontinent der Filmgeschichte eroberte. Bei Dont Look Now/Wenn die Gondeln Trauer tragen hatte er mit Donald Sutherland und Julie Christie auch noch zwei groe Stars zur Verfgung, die mit ihrer Prsenz und ihrem Spiel dem Film eine zustzliche Aura von erwachsener Melancholie verliehen. In einer berhmt gewordenen Liebesszene des Ehepaars entsteht die Erotik erst allmhlich aus einer ganz banalen nachmittglichen Hotelzimmersituation. Und je weiter die Szene geht, umso heftiger schneidet Roeg Vergangenheit und Zukunft dieses kleinen Moments der krperlichen Liebe unmittelbar aneinander.
Die berraschend wiedererwachte Sehnsucht eines Ehepaars nacheinander und das jeweilige Alleinsein der beiden nach der Liebe werden so untrennbar miteinander konfrontiert und verbunden. Allein diese Szene fhrt den Film ber sein Genre weit hinaus und macht ihn zu einer tiefen Reflexion ber das grundstzliche Zusammensein und Getrenntsein von Mann und Frau.
DOMINIK GRAF (
aus: http://sz-mediathek.sueddeutsche.de/mediathek/shop/catalog/ShowMediaDetailVP.do?pid=710965&extraInformationShortModus=false¤tExtraInformationTab=