Frank Cannon
Polizeilicher Berater
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« Antworten #6 am: 05. Februar 2012, 05:02:25 » |
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Nachdem ich nun alle 8 Staffeln des amerikanischen Originals gesehen habe, hat sich an dieser Haltung meinerseits absolut nichts geändert.
Der Chef weist für mich nur ein einziges Manko auf, und das ist - wie ebenfalls mehrfach erwähnt - die deutsche Synchronisation von Raymond Burr, denn ich halte nach wie vor Martin Hirthe als Fehlbesetzung, die den Charakter von Burrs Figur völlig verändert und ihn - zumindest für mich - nicht als den bärbeißigen Chef erscheinen lässt, unter dessen rauen Schale sich ein weicher Kern verbirgt, sondern als arrogantes und egozentrisches A...loch, für das zu arbeiten einem jeden Mitarbeiter als Strafversetzung in die Hölle vorkommen muss.
Dabei ist "Der Chef" soviel mehr - Raymond Burr ist gelinde gesagt DIE ideale Verkörperung der Figur des Polizeichefs, der nach einem Mordanschlag querschnittsgelähmt ist und fortan seine Arbeit vom Rollstuhl aus erledigen muss. Und nein, mit Blick in Richtung irgendwelcher betütelter Produzenten, die meinen, man könnte die Figur in einem Remake verwursteln - das kann man NICHT! Denn NIEMAND aus der heutigen Schauspielerriege - und ich wage zu prognostizieren, auch niemand aus künstigen Schauspielergenerationen - wäre in der Lage, die großartige schauspielerische Leistung des Raymond Burr auch nur annähernd zu erreichen. Der Mann ist einfach genial und zieht alle Register seines Könnens als grantelnder Polizeichef, der anfangs mit seinem Schicksal hadert aber - wie im Revival aus den 80er deutlich erklärt wird - genau das vorlebt, was er seinen Kollegen und Schützlingen später mit auf den Weg gibt: "Was auch passiert - gib niemals auf und gib dich niemals auf.". Nachdem er also klar gemacht hat, dass er weit davon entfernt ist, sein Leben im Krankenbett zu verbringen, und weil ihn das Polizeipräsidium von San Francisco für einen unentbehrlichen Analytiker und Ermittler hält, bekommt er eine besondere Kommission - er soll als Berater für die Kriminalpolizei tätig sein, wird aber bald allen Kripobeamten überstellt und zum Chef der Kripo, allein weisungsgebunden dem Police Commissioner. Im Loft des Polizei-Hauptquartiers erhält er eine Mischung aus Büro und Wohnung, in der er fortan spezielle Fälle bearbeiten wird. Zur Seite gestellt wird ihm ein Spezialteam, bestehend aus Polizeisergeant Ed Bishop, Police Officer Eve Whitfield (die nach ihrem späteren Weggang durch Police Officer Fran Belding ersetzt wird) und als persönlichem Betreuer der farbige Mark Sanger, der nur sehr widerwillig als Rollstuhlschieber des egozentrischen Grantlers Ironside seinen Dienst antritt und in die Wohnung einzieht. In einem von Rassenunterschieden gespaltenen Amerika war die Konstellation farbiger Assistent vs. weißer "Über-Chef" natürlich eine Gratwanderung, aber in einer großartigen Pilotfolge raufen sich Mark und der Chef zusammen. Mark Sanger wird künftig zu einer für mich sehr beliebten und wichtigen Serienfigur, der in seiner Zusammenarbeit mit den "weißen" Kollegen, aber auch in seiner Art, das "farbige" Amerika als "gar nicht so schlecht" zu repräsentieren und zusammen mit dem völlig anti-rassistischen Chef eine Lanze für Afro-Amerikaner zu brechen, eine wichtige Position einnimmt. Später wird der "Underdog" Mark Sanger eine farbige Anwältin heiraten und selbst nicht nur die Police Academy absolvieren sondern auch die Anwaltsprüfung erfolgreich ablegen und damit eine weitere Lanze gegen Vorurteile im Land, dass Schwarze es selten zu etwas bringen, brechen. Genauso genial war die Besetzung des weiblichen Gegenparts - sowohl Officer Eve Whitfield als auch Fran Belding sind eher unerfahrene Beamtinnen, die der Chef vom uniformierten Streifendienst und dem Knöllchenschreiben wegholt. Warum? Weil dadurch auch gleichzeitig seine Position als "Mentor" und "Doktorvater", wenn man so will, insgesamt aber als Lehrmeister und Vaterfigur untermauert wird. Anfangs sind die beiden Damen, vor allem aber Fran Belding, überhaupt nicht begeistert, für den alten Grantler zu arbeiten, aber es dauert nicht lange, da würden sie für ihn durch die tiefste Hölle gehen. Ed Bishop als erfahrener Police Sergeant, der allerdings noch was vom Chef lernen kann und gleichzeitig als direkter Vorgesetzter für Eve und später Fran fungiert, ist sehr sympathisch besetzt mit Don Galloway, der hier oftmals auch dem Chef widersprechen darf, letztlich aber auch einsieht, dass er halt mal wieder auf dem falschen Dampfer war.
Was "Der Chef" von anderen Krimiserien der damaligen Zeit unterscheidet ist, dass man hier weniger auf Autoverfolgungsjagden, Schießereien und atemberaubende Action Wert legte, sondern auf die Kombination aus komplizierten, verzwickten und spannenden Kriminalfällen und dem Zusammenspiel der Charaktere. Hier wird gezeigt, dass Polizeiarbeit auch oft nur Beinarbeit ist - allzu oft jagt der Chef seine Mitarbeiter durch die Gegend um Beweise zu sammeln, und wie oft kommen sie zurück ins Loft, um sich einen Kaffee oder eine Schüssel von des Chefs geliebtem Chili zu genehmigen und sich über schmerzende Beine zu beschweren. Der Chef selbst blafft und grollt und brüllt und hängt seinen Chef raus, wenn ihm einer böse will oder nicht so will, wie er soll. Aber Raymond Burr ist ein Meister seines Fachs, der wie bei Perry Mason seine Figur zu einer der ganz großen Serienfiguren der amerikanischen Fernsehgeschichte macht. Seine Stimme ist im Original selten ein Gebrüll, sondern ein autoritärer Tonfall, der keinen Widerspruch duldet; seine Stimme kann, wenn nötig, so viel väterliche und mitfühlende Wärme enthalten, dass ihn jeder liebend gern zum Vater oder Großvater oder Paten oder einfach nur als Chef haben würde. Er ist dermaßen glaubwürdig, dass man ihm seine Bärbeißigkeit ebenso abnimmt wie seine Gefühle. Er IST "Ironside", ebenso wie er "Perry Mason" war. Burrs Mimik ist kaum zu beschreiben - wenn man ihn so sieht, als schweren, großen Klotz in einem Rollstuhl (er verzichtet bewusst auf einen elektrischen Rollstuhl!), der Verbrecher jagt, mit Kindern super umgehen kann (obwohl er sich davor fürchtet) und seine Mitarbeiter wie seine eigenen Kinder liebt, kann man kaum glauben, dass er auch in Filmen wie "Tarzan bricht die Ketten" oder in Western wie "Ein Mann allein" als Bösewicht zu sehen war. Für mich ist Burr seit "Perry Mason", vor allem aber seit "Ironside" einer der genialsten Schauspieler, die das amerikanische Fernsehen jemals hervorgebracht hat. Da in Deutschland nur ein paar Folgen der ersten Staffel auf DVD erschienen, muss man für den Chef auf die englische Originalfassung zurückgreifen, und hier ist ein weiteres Zeichen der Beliebtheit und Qualität der Serie, dass inzwischen sämtliche 8 Staffeln der Serie sowie der Revival Film aus den 80ern auf DVD vorliegen. Die Qalität ist brilliant, das Englisch ist wunderbar zu verstehen (slebst der Jive Talk eines Mark Sanger), die Dialoge sind sehr edel, und somit wird diese bemerkenswerte DVD-Edition, die auch drei niemals ausgestrahlte Episoden, eine davon mit Pernell Roberts als Gangster, enthält, zum unverzichtbaren Sammlerobjekt für TV-Nostalgiker und Fans amerikanischer Krimiserien. Hochkarätig sind auch die Gastrollen besetzt, und allen voran muss man auch Johnny Seven Respekt zollen, der in einer oft widerkehrenden Rolle als Lieutenant Carl Reese eng mit dem Chef und seinem Team zusammenarbeitet. Johnny Seven ist ein wieselflinker Choleriker, der aber völlig sympathisch rüberkommt und einer der spezielle Tropfen Zitronensaft oder Grapefruitsaft ist, die den Cocktail "Ironside" so schmackhaft machen. Dann gibt es da natürlich noch den Van des Chefs. Ein alter Lieferwagen wird gepanzert und mit elektrisch betriebener Rampe ausgestattet und kutschiert den Chef durch die Gegend, bis das Fahrzeug in einer Ermittlung im Hinterland geopfert werden muss, um das Leben des Chefs zu retten. Daraufhin erhält er ein wesentlich modernes Mobil, mit toller Rampe, Funk, Telefon und Lautsprecheranlage. Meist wird der Wagen von Mark Sanger gefahren, doch auch der Chef ist in der Lage, das Fahrzeug selbst zu fahren.
Man merkt der Serie an, dass große Teile davon im Studio gedreht wurden, aber es gibt auch beeindruckende und häufig wechselnde Außenaufnahmen, die erst in der achten Staffel öfters wiederholt werden. Auch die Geschichten in der achten Staffel leiden etwas an Einfallslosigkeit, aber nicht viel. Man merkt eben, dass nicht mehr ganz so viele neue Ideen vorhanden waren, und so war es natürlich auch absehbar, dass nach der achten Staffel Schluss war. Schluss? Nein - denn etliche Jahre später trifft ein sichtlich gealterter Chef (er trägt jetzt einen Bart) mit seinem gesamten Team wieder zusammen. Wenn man den TV Film "Der Chef kehrt zurück" (The Return of Ironside), der im Zuge der neuen "Perry Mason" - Verfilmungen der 80er produziert wurde, heute betrachtet, erschrickt man darüber, wie sehr Ed Bishop, Mark Sanger und Eve Whitfield gealtert waren. Don Galloway, der erst vor Kurzem verstarb, wirkt zu alt für seine Rolle, Elizabeth Baur ist ganz wunderschöne Dame ebenso wie Barbara Anderson, und Don Mitchell in der Rolle des Mark Sanger trägt nun Hosenträger, ist dick und sichtlich gealtert und inzwischen Richter geworden. Doch für den Chef gehen sie wieder auf Gangsterjagt. Der Film ist handwerklich ebenso solide gemacht wie die Perry Mason Fälle der 80er, und natürlich war Raymond Burr bereits gesundheitlich angeschlagen und die Gelegenheit, seine Rolle sitzend zu absolvieren, war ihm durchaus willkommen,. Wir erinnern uns - als Perry Mason ging er in den 80ern am Stock. Im Film ist Ironside inzwischen verheiratet und im wohl verdienten Ruhestand, den er als Weinbauer mit seiner Frau auf deren Weingut verbringt. Als ein Polizeilieutennant in Denver, Colorado, ermordet wird, bittet man den Chef, temporär den Job des Polizeichefs kommissarisch zu übernehmen, bis ein permanenter Chef gefunden wird. So reist Ironside ins winterliche Denver, wo er einer Verschwörung in Polizeikreisen auf die Spur kommt und den Fall mit Hilfe seiner Assistenten löst. Was dem mit neueren Mitteln hergestellten Film allerdings zugute gehalten werden muss ist, dass dem Revival das Kunststück gelingt, die Atmosphäre der Serie und vor allem das großartige Sopiel Raymond Burrs zu übernehmen und in die 80er zu übertragen. Inzwischen selbst ein Klassiker, ist das Qualitätsfernsehen, das dem TV-Vergnügen der 80er jahre eine neue Qualität verleiht, die man ebenfalls heute vergeblich sucht (ausgenommen vielleicht die liebevoll hergestellten Produktionen der Pay-TV-Sender Lifetime und Hallmark/HBO oder TNT). Leider ist das heute nicht mehr möglich, weil man sich zu sehr auch CGI-Technik, Blue- und Green Screen versteift und auf einzeilige Dialoge, die Schauspieler nicht mehr überfordern. Eine schauspielerische Herausforderung wie die des Raymond Burr wäre heute wohl auch nicht mehr möglich, da sich kaum noch jemand dieser Herausforderung stellen würde. Insgesamt ist der Revival-Film ein spannender und zugleich unterhaltsamer sowie schauspielerisch routiniert-gekonnter Abschluss der legendären "Ironside" - Serie, und ein wirklich würdiger Abschluss dazu.
Alles in Allem kann man jedem TV-Nostalgiker und Krimiliebhaber einfach nur dringend raten, sich diese tolle Serie anzutun und sie einfach zu genießen. Neben "Hawaii Five O" ist "Der Chef" für mich eine der großartigsten Krimiserien aller Zeiten und pures Fernsehvergnügen. Daran führt kaum ein Weg vorbei und ich bin froh, dass ich die Zeit (und es waren viele viele Nächte nach einem ermüdenden Arbeitstag, die ich mit Ironside verbrachte, der mich NIE einschlafen ließ) fand, diese Fernsehserienperle genießen zu können. Verglichen mit dem, was uns heute an Krimiserien vorgesetzt wird, ist "Ironside" ein Juwel und einfach ganz großes Kino für Zuhause.
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